18.02.2011: Oh Herr, laß Gras wachsen!
Das wird sich unser Verteidigungsminister zu Guttenberg wohl genauso denken wie sein Doktorvater.
Wer angesichts der vielen, vielen Doctores, die einem so, zum Beispiel als Gesprächspartner bei Kunden, über den Weg laufen, glaubt, jeder einzelne von ihnen hätte einen eigenständigen bedeutsamen Beitrag zu Wissenschaft und Forschung geleistet, der glaubt wahrscheinlich auch an den Weihnachtsmann. Ich vermute ganz stark, daß es gerade in den Massendoktorfächern wie Jura oder, schlimmer noch, Medizin, gang und gäbe ist, aus 99 Büchern ein hunderstes zu machen. Und so dachte ich zuerst, Guttenberg hätte einfach nur Pech gehabt, daß es bei ihm halt herausgekommen ist.
Doch so einfach ist es offenbar nicht. Es sieht so aus, als hätte Guttenberg nicht nur großzügig Zitate verwendet, in einigen Fällen ohne sie zu kennzeichnen; nein, auch Teile der Kernbereiche der Arbeit wie Einleitung oder Schlußfolgerungen sind offenbar fast wortwörtlich schon anderswo erschienen (um es mal vorsichtig auszudrücken). Und eine Crowdsourcing-Initiative gibt es auch schon: das Guttenplag-Wiki.
Und was wird es alles nützen? Ich bin ziemlich fest davon überzeugt, daß es gar nichts nützen wird. Zwei Wochen hat er nun Zeit, auf die Vorwürfe zu reagieren. Böse Zungen werden sagen, er werde diese Zeit nutzen, um die Arbeit gründlich durchzulesen. Wer weiß, vielleicht kannte er das Ausmaß der Schlamperei ja wirklich nicht?
In dieser Zeit fließt viel Wasser den Roten Main hinunter. Und Gras kann wachsen. In ein paar Wochen schon redet niemand mehr darüber, und dann wird das Thema irgendwie leise und gesichtswahrend für alle Beteiligten gelöst werden.
Aber daß sich Guttenberg wie ein Ehrenmann verhält und seinen Doktortitel von sich aus zurückgibt? Das kann wohl ausgeschlossen werden.
Leider.
Update: Er verzichtet dauerhaft auf seinen Doktor und bittet die Universität Bayreuth darum, ihn zurückzunehmen. Das hätte ich nicht erwartet, ich bin überrascht. Positiv! Andererseits ist das vermutlich das Klügste, was er in dieser Situation tun kann, um den Gesichtsverlust auf das unvermeidliche Maß zu reduzieren.
06.01.2011: Ach, Gesine!
Was hat sich Gesine Lötzsch nur dabei gedacht? In einem Beitrag für die „Junge Welt“ spricht sie von „Wegen zum Kommunismus“, überschreibt ihn sogar so. Und, welch Wunder, alle fallen über sie her – je weniger Durchblick, desto heftiger. Das hätte man kommen sehen können. Gerade als die Linke anfangen will (und muß), sich in Richtung Gestaltungsfähigkeit zu entwickeln, da uns in Deutschland ja langsam die nicht komplett untragbaren Parteien ausgehen, haut sie so ein Ding raus. Warum nur, warum?
Der Verlust an Glaubwürdigkeit für die ganze Partei dürfte enorm sein. Denn kaum hört der brave Bürger das K-Wort, hat er die völlig falschen Assoziationen. Da wird dann schon mal gegeifert, die Linke wolle zurück in die DDR. Doch das glaube ich nicht.
Leute, bedenkt doch bitte mal eins: Das, was in der Sowjetunion, der DDR und anderen Satellitenstaaten ablief, hatte mit Kommunismus ungefähr so viel zu tun wie das, was die derzeitige Bundesregierung macht, mit Regieren zum Wohl des Volkes. Die Regimes, die sich bisher „kommunistisch“ geschimpft haben, waren doch in Wahrheit ausbeuterische Diktaturen, in denen sich eine herrschende Klasse zu Lasten des Volks bereichert und ihre Macht mit Gewalt und Unterdrückung erhalten haben. Was soll daran bitte kommunistisch sein? (Okay, der cubanischen Führung würde ich zugestehen, daß sie zumindest versucht, es richtig zu machen, aber klappen tut es ja auch da nicht.)
Wenn man sich die Mühe macht, den Artikel von Gesine Lötzsch ganz zu lesen, stellt man fest, daß sie das wohl auch so sieht:
Wenn Kommunismus das Gemeinschaftliche betont und der Liberalismus den einzelnen, dann wollte Rosa Luxemburg beides zugleich – […] Eine Gesellschaft ohne Freiheit wäre für sie nur ein neues Gefängnis gewesen, so wie ihr eine Gesellschaft ohne Gleichheit immer nur eine Ausbeutergesellschaft war. Sie forderte die Herrschaft des Volkes über Wirtschaft und Gesellschaft genauso ein wie die Freiheit des Andersdenkenden. Sie war radikale demokratische Sozialistin und konsequente sozialistische Demokratin. Deswegen konnte der sowjetische Parteikommunismus sich am Ende genausowenig mit ihr versöhnen wie der bürgerliche Liberalismus.
Der Unterschied zwischen dem, was Rosa Luxemburg wollte, und dem sowjetischen Parteikommunismus ist ihr also durchaus klar.
Anderseits ist die Frage, ob unsere in immer zügelloseren Marktkapitalismus abgleitende Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung mit den aktuellen und künftigen Herausforderungen noch klarkommen wird, meiner Meinung nach absolut berechtigt. Ich habe durchaus auch meine Zweifel.
Das alles heißt aber nicht, daß man Frau Lötzsch ernsthaft vorwerfen kann, sie wolle die DDR zurück.
Andererseits glaube ich persönlich auch nicht, daß Kommunismus funktionieren kann; meiner Meinung nach sind wir Menschen dafür einfach nicht gemacht, uns selbstlos dem Gemeinwohl zu widmen, und werden immer Wege suchen, uns zu Lasten der anderen zu bereichern. Deswegen glaube ich, daß es nur so funktioniert, daß man den Menschen eine Möglichkeit gibt, für das eigene Wohl zu handeln und damit gleichzeitig, gewissermaßen als Nebenwirkung, das Gemeinwohl zu fördern. Nennt sich „soziale Marktwirtschaft“ und hat jahrzehntelang in der alten Bundesrepublik recht gut funktioniert.
Hier noch eine Abschnitt von Lötzsch‘ Artikel, den ich sehr interessant finde:
Auf jeden Fall wird es nicht den einen Weg geben, sondern sehr viele unterschiedliche Wege, die zum Ziel führen. Viel zu lange stehen wir zusammen an Weggabelungen und streiten über den richtigen Weg, anstatt die verschiedensten Wege auszuprobieren. Zu lange laufen wir auf Wegen, obwohl wir ahnen oder gar wissen, daß sie nicht zum Ziel führen. Doch wir kehren nicht um, weil wir Angst vor denen haben, die immer noch diskutierend an der Weggabelung stehen und uns mit höhnischem Gelächter empfangen könnten.
Wie weise! Sehr viel weiser jedenfalls als mit dem K-Wort um sich zu werfen und damit eine Abscheureflex bei so ziemlich jedem auszulösen, außer vielleicht bei denen, die DDR tatsächlich wieder haben wollen.
08.12.2010: Hilfe! Fluglärm in Kleinmachnow!
Das traurig-komische Schmierentheater um die neuen Flugrouten am künftigen Großflughafen Schönefeld hat eine neue Wendung bekommen. Und mal wieder schaut man ungläubig auf das Berlin-Brandenburger Bonzengeschmeiß und ihre willfährigen Helfer.
Jahrzehntelang hat kein Hahn danach gekräht, daß die Anwohner am Kurt-Schumacher-Platz – nicht gerade die wohlhabendste Wohngegend Berlins – in geringer Höhe überflogen werden. Auch ich habe fünf Jahre lang in Radeland gewohnt, fast genau in westlicher Verlängerung der Start- und Landebahnen und etwa anderthalbmal von deren westlichem Ende entfernt wie sie lang sind. Ich kenne das Phänomen „Fluglärm“ also durchaus aus eigener Erfahrung. Das ist in sonst eine hübsche Gegend, aber immer noch nicht das bevorzugte Revier der Zielwählerschaft der Regierungsparteien.
Aber nun ist ja bekanntlich an die Öffentlichkeit gedrungen, was jahrelang (vielleicht absichtlich?) verschwiegen wurde: Um einen Großflughafen mit entsprechender Kapazität mit zwei parallelen Start- und Landebahnen zu betrieben, muß man zumindest zeitweise gleichzeitig auf beiden starten, und das wiederum macht es notwendig, nach dem Start abzuknicken, damit die beiden Flugzeuge baldmöglichst ausreichend Abstand zueinander haben. Und das bedeutet Fluglärm für Kleinmachnow und andere Kernwählergebiete. Geräuschkulisse für Großverdiener! Scheiße. Und jetzt?
Verkehrsminister Ramsauer hat die Lösung: keine Parallelstarts. Das könne man der Grundbesitzergemeinde schließlich nicht zumuten. Damit hätte der neue Flughafen Schönefeld allerdings weniger Kapazität als Berlin-Tegel und der jetzige Schönefelder Flughafen zusammen. Drehkreuz ade. Aber was tut man nicht für seine Klientel.
Ein Gutes könnte die Posse allerdings haben … wenn in Schönefeld die Kapazitäten nicht reichen, könnte man ja einfach Berlin-Tegel offen halten, und alles wäre gut. Alle innerdeutschen Flüge von Berlin-Tegel, nur Ausland von Schönefeld. Das würde passen.
Dazu hätte man aber Schönefeld sicher auch viel viel billiger ausbauen können. Und am Kutschi bleibt es laut. Aber das hat ja noch nie jemanden interessiert.
02.12.2010: Realität an Netzwelt: Chillt mal!
Wie viele von Euch sicher wissen, bin ich kein Anwalt (IANAL). Aber Udo Vetter ist einer, und er hat einen meiner Meinung nach lesenswerten Artikel über die Auswirkungen des JMStV verfaßt.
Natürlich hat der deutsche Bürokratieapparat wieder ein völlig unnötiges Monster geboren. Aber ich werde mir erst mal keine Gedanken machen, und sehe auch keinen Grund dafür.
Wer zum Jahresende sein Blog schließt, mag eine wohlbegründete Panik vor Folgekosten haben. Wer das schon vorher in vorauseilenden Gehorsam tut, ist meiner Meinung nur erbärmlich.
30.11.2010: Was ist denn daran wirklich so anders?
Wenn sich ein Informant widerrechtlich Daten über Kunden einer Bank beschafft, diese auf eine CD brennt und für ordentlich Zaster an deutsche Finanzbehörden verkauft (sich also selbst bereichert, hier sind eher keine altruistischen Motive im Spiel), dann freuen sich die Behörden wie Schnitzel und tun fix das Ihre, um die entwichenen Steuerschäfchen, und vor allem die hinterzogenen Steuern, wieder einzufangen. Außer den direkt Betroffenen regt sich auch kaum jemand auf, hier und da wird ein kritisches Wort laut, aber das war’s dann auch. Und nun hat auch das Bundesverfassungsgericht dem seinen Segen gegeben.
Nun kann man natürlich geteilter Meinung darüber sein, was Julian Assange bzw. WikiLeaks dazu motiviert, massenweise geheime Dokumente von US-Behörden zu veröffentlichen. Auch hier ist aber davon auszugehen, daß die Daten nicht auf rechtlich einwandfreiem Weg erlangt wurden. Und plötzlich ist die Aufregung groß, Hans-Peter Friedrich von der CSU vergleicht WikiLeaks sogar mit der Stasi. Das ist natürlich völliger Schwachsinn, denn wenn die Stasi irgendwas nicht gemacht hat, dann geheime Informationen zu veröffentlichen. Die, die es sozusagen direkter betrifft, erniedrigen sich erst selbst, indem sie um Gnade flehen, und wollen die Enthüllungsplattform dann am liebsten zur terroristischen Organisation erklären lassen.
Dabei ist die Ausgangslage eigentlich in beiden Fällen ähnlich. Jemand tut etwas, von dem er sicherlich weiß, daß es falsch ist, und hofft, daß es nicht herauskommt. Dann kommt es eben doch heraus. Und trotzdem sind die Reaktionen so unterschiedlich.
Nebenbei bemerkt: Wenn nicht einmal die US-Regierung in der Lage ist, ihre Daten unter Verschluß zu halten, wer soll es dann können? Leider werden auch die jüngsten Appelle gegen die ungebremste Datensammelwut sicher ungehört verhallen, aber sie sind absolut berechtigt: Daten, die nicht erhoben oder gespeichert werden, können auch nicht „herauslecken“.